Unsere Reise in den Kongo 2014

Wäre ich zusammen mit Dr. Gerhard Kremer und Pater Terliesner in den Kongo gefahren, wenn ich gewusst hätte, was ich dort erleben und sehen werde? Diese Frage habe ich mir während unserer Reise öfters gestellt.

Wenn ich ehrlich bin, lautet die Antwort: Nein - ich hätte nicht JA dazu gesagt. Ich wäre nicht gefahren. Deshalb war es gut, dass ich mich gar nicht näher mit den Umständen beschäftigt habe. Denn im Rückblick auf diese vierzehn Tage sage ich:

Es war keine schöne - aber eine wichtige Reise, die mich verändert hat.

Wie kam es dazu?

Vor ca. drei Jahren entschied sich der Camarakreis Nieder-Olm e.V. zusätzlich zu seinem langjährigen Engagement in Rondonopolis / Brasilien auch ein Projekt in Afrika, genauer gesagt im Kongo, zu unterstützen. Mit Pater Aloys Terliesner, dem Missionsprokur der Oblaten war schnell ein verlässlicher Partner gefunden, der uns besonders den Bau einer Entbindungsstation in Mwabo, einem Ort ca. 600 km von Kinshasa entfernt, ans Herz legte. Wir griffen diese Idee sofort auf - unsere Unterstützung sollte da beginnen, wo das Leben beginnt. Dr. Gerhard Kremer und Guido Bruns machten sich bereits vor knapp zwei Jahren auf den Weg, um die Anfänge des Baus in Augenschein zu nehmen, die Menschen vor Ort kennen zu lernen und sich ein Bild vom Kongo, dem ärmsten Land der Erde zu machen. Mit vielen Aktionen (Benefizessen, Kunstauktion, Häkeln und Verkauf von unzähligen Mützen) und aufgrund der hohen Spendenbereitschaft in unserer Pfarrgruppe und darüber hinaus, kam innerhalb kürzester Zeit eine große Summe zusammen, die wir über den Oblatenorden direkt dem Bauvorhaben in Mwabo zur Verfügung stellen konnten. Die Universitätsmedizin Mainz unterstützte uns mit vielen Krankenbetten und medizinischen Geräten, die per Container in den Kongo transportiert wurden.

Und dann war es soweit. Die Entbindungsstation - die Maternité Câmara - sollte offiziell eingeweiht werden. Und da Geburt etwas mit Frauen zu tun hat, fragte man mich, ob ich nicht Interesse daran hätte, Dr. Gerhard Kremer zu begleiten.

Nach einem angenehmen Flug kommen wir spät abends in Kinshasa an und werden im Gästehaus der Oblaten herzlich empfangen. Lange können wir nicht zusammen sitzen und erzählen, denn die Nacht ist nur kurz. Um fünf Uhr früh ist bereits die Abfahrt nach Mwabo angesagt.

Ich möchte hier gar keinen detaillierten Reisebericht abgeben sondern viel mehr von den Empfindungen und Erlebnissen berichten, die mich bewegt und erschüttert haben. Ca. 600 km liegt Mwabo von Kinshasa entfernt - 600 km, für die wir gut 20 Stunden reine Autofahrt benötigen. Alleine sechs Stunden für die letzten 100 km und das auch nur, weil dieser Abschnitt speziell für die Einweihung als befahrbarer Weg „ausgebaut“ wurde. Sonst wären es 180 km gewesen. Die Bezeichnung „Straßen“ ist in diesem Zusammenhang irreführend. Tiefe Schlaglöcher, Sandwege, wahre Buckelpisten - die fehlende Infrastruktur im Kongo ist eines der Probleme dieses Landes. Für uns im Jeep sitzend, der von einem hervorragenden Fahrer gesteuert wird, ist das zwar anstrengend aber nicht problematisch. Anders sieht es für die vielen Menschen aus, die uns unterwegs begegnen. Männer, die ein über und über beladenes Fahrrad steile Berge hochschieben. Frauen, die kilometerweit laufen, um Wasser zu holen und dieses dann in 20 Liter Kanistern auf dem Kopf wieder nach Hause tragen. Tag für Tag. Woche für Woche. Ihr ganzes Leben lang.

Zwischendrin tauchen wie aus dem Nichts kleine oder größere Orte auf. Lehmhütten mit Strohdächern, manchmal auch mit einem Blechdach. Das ist dann schon Luxus. Die Küche ist in einer kleinen separaten Hütte untergebracht. Gekocht wird auf offenem Feuer, denn Strom gibt es nicht. Wenn es dunkel ist, ist es dunkel.

Und immer wieder Kinder, so viele Kinder. Sie halten am Anfang vorsichtigen Abstand und schauen uns ernst und skeptisch an. Das ändert sich schlagartig, wenn wir auf den Knopf unserer Kameras drücken. Das ist das Größte und wird nur noch getoppt, wenn wir ihnen auf dem Display die Bilder zeigen.

Für die meisten ist das Vorbeifahren eines Autos ein Highlight in ihrem Lebensalltag, der ansonsten geprägt ist von Maniokstoßen, Wasserholen und Holzsammeln.

In den Augen der Menschen sehe ich viel Traurigkeit und  Hoffnungslosigkeit. Wenig Lachen - aber haben sie überhaupt etwas zu Lachen? Ist der tägliche Kampf um’s Überleben nicht einfach zu hart? Die bei uns oft verbreitete Ansicht, dass die Menschen in Afrika zwar ärmer aber viel glücklicher seien, kann ich zumindest für den Kongo überhaupt nicht nachvollziehen. Armut geht nicht einher mit der Konzentration auf das Wesentliche im Leben. Armut ist einfach nur schrecklich. Und die Menschen im Kongo sind arm - sehr arm. Wir sehen viele Kinder mit den typischen Anzeichen von Mangelernährung. Obwohl das Land eigentlich alles hat. Bodenschätze, Wasser, Sonne, um Energie zu erzeugen. Aber die Regierung tut so gut wie nichts dafür, dass sich die Situation ändert. 

Und dann sind wir irgendwann in Mwabo und werden empfangen wie die Könige. Es ist mir peinlich und mir kommen mal wieder die Tränen. Das ganze Dorf scheint auf den Beinen, um uns zu begrüßen. Vor uns steht die Maternité Câmara - fast wie von einem anderen Stern. Das erste gemauerte Haus. Mit seinem blauen Dach leuchtet es weithin. Noch gibt es kein Wasser und keinen Strom. Kleinere Operationen werden mit Hilfe von Taschenlampen ausgeführt. An unseren Maßstäben gemessen unvorstellbar - aber für die Menschen dort ein Hoffnungszeichen und ein Schritt nach vorne. In der Nacht wird ein kleiner Junge geboren. Câmara nennt ihn die Mutter.

Der offizielle Einweihungsgottesdienst am nächsten Tag dauert etwa fünf!! Stunden. Ich komme mit einem jungen Mann ins Gespräch, der Gitarre spielt, und extra für diesen Gottesdienst  neun Stunden zu Fuß nach Mwabo gekommen ist. Auf seine Frage, ob es eine Chance gibt, dass wir uns wiedersehen, gebe ich keine Antwort. Was soll ich auch sagen?

Dann geht es weiter. Die Oblatenpatres, die uns während der Reise begleiten und rührend um uns besorgt sind, wollen uns Panu zeigen. Eine kleine Stadt nordöstlich von Kinshasa, die wir nach zwei weiteren Tagen im Auto erreichen. Noch trostloser, noch ärmer, noch hoffnungsloser. Es ist der Moment der Reise, an dem mich abends im Bett ein Weinkrampf schüttelt und ich am liebsten die Augen vor all dem Elend und der Not verschließen möchte. Ich will nicht mehr und ich will nach Hause zurück. Und gleichzeitig weiß ich, dass es richtig ist, dass ich…dass wir hier sind. Ich denke an zuhause, an den Christi Himmelfahrt Gottesdienst, der gerade in Sörgenloch gefeiert wird. Dort steigen Luftballons in die Höhe und ich versuche, alles Belastende und Traurige in Gedanken mit aufsteigen zu lassen.

In Panu planen die Oblaten ebenfalls den Bau einer Krankenstation und einer Schule. Im Kongo besteht Schulpflicht - nur: der Schulbesuch kostet Geld. Und das können sich nur Wenige leisten. Auch hier hilft und unterstützt die Kirche. Überhaupt….ohne die Kirche sähe es im Kongo noch viel schlimmer aus. Der Einsatz der Patres und Schwestern beeindruckt uns immer wieder.

Die letzten Tage verbringen wir wieder in der Hauptstadt Kinshasa. Eine Stadt mit circa zehn Millionen Einwohnern - chaotisch, unübersichtlich, dreckig. VW Busse mit 20-30 Personen fahren an uns vorbei, Autowracks, die einfach am Straßenrand liegen, nicht fertig gebaute Häuser, Kinder die im Abwasser spielen.

Pater Habell, der Provinzial der Oblaten im Kongo, erzählt uns, dass es eigentlich in Kinshasa genügend Nahrungsmittel gibt. Aber die meisten Leute können sich nichts kaufen, denn es fehlt ihnen an Geld. 70% beträgt die Arbeitslosenquote.

Wir besuchen eine weitere Krankenstation, die von italienischen Ordensschwestern betrieben wird. Dort bekommen Kinder, die unterernährt sind, etwas zu essen. Sojabrei, denn der ist sehr nahrhaft. Der Einsatz von Schwester Giovanni und ihren Mitarbeiter/innen macht uns sprachlos. Es gibt viele Mutter Teresas auf unserer Erde.

Dr. Kremer und ich haben viel gelernt auf dieser Reise. Wir haben viel Trauriges gesehen - aber wir haben auch viel gewonnen. Die Freundschaft mit den Oblatenpatres zum Beispiel. Vor allem mit Pater Habell und Pater Egide. Letztgenannter ist nicht nur Priester sondern auch Mediziner und wird im kommenden Jahr ein Praktikum in Mainz absolvieren, um dann in seiner Heimat in den verschiedenen Krankenstationen zu arbeiten und den Menschen zu helfen.

Wie kann die Zukunft im Kongo aussehen? Ich weiß es nicht. Schritt für Schritt, sagen die Patres.

Der Camarakreis ist mit dem Bau der Maternité einen kleinen Schritt gegangen. Es ist vielleicht nur ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein. Aber jeder Tropfen hilft, den Stein abzukühlen. DANKE allen, die dazu beigetragen haben.

Andrea Keber

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